Die rechtliche Grundlage des Erbbaurechts verstehen
Das Erbbaurecht ist ein besonderes Rechtsinstitut im deutschen Immobilienrecht, das vielen Eigentümern und Investoren Kopfzerbrechen bereitet. Im Kern handelt es sich dabei um ein grundstücksgleiches Recht, das die Nutzung eines fremden Grundstücks für einen langen Zeitraum ermöglicht, ohne dieses kaufen zu müssen. Die rechtliche Grundlage bildet das Erbbaurechtsgesetz (ErbbauRG), welches seit 1919 in Deutschland existiert und zuletzt 2007 grundlegend novelliert wurde.
Gemäß § 1 Abs. 1 ErbbauRG ist das Erbbaurecht definiert als „das veräußerliche und vererbliche Recht, auf oder unter der Oberfläche eines fremden Grundstücks ein Bauwerk zu haben“. Dieses Recht wird für einen bestimmten Zeitraum, üblicherweise zwischen 30 und 99 Jahren, eingeräumt. Eine Besonderheit des Erbbaurechts liegt darin, dass es wie ein eigenständiges Grundstück behandelt wird und im Grundbuch als solches eingetragen wird. Genauer gesagt wird für das Erbbaurecht ein eigenes Grundbuchblatt (Erbbaugrundbuch) angelegt.
Der Erbbaurechtsnehmer zahlt dem Grundstückseigentümer (Erbbaurechtsausgeber oder -geber) einen regelmäßigen Erbbauzins, der vertraglich festgelegt ist und meist jährlich entrichtet wird. Dieser Zins stellt die Vergütung für die langfristige Nutzung des Grundstücks dar und ist typischerweise an den Grundstückswert gekoppelt, wobei er oft zwischen 3% und 5% des aktuellen Bodenwerts pro Jahr beträgt.
Erbbaurecht vs. Grundstückseigentum: Die wesentlichen Unterschiede
Der fundamentale Unterschied zwischen dem Erbbaurecht und dem klassischen Grundstückseigentum besteht in der Eigentumsstruktur. Während beim Grundstückseigentum Boden und Gebäude rechtlich eine Einheit bilden und demselben Eigentümer gehören, findet beim Erbbaurecht eine rechtliche Trennung statt:
- Der Grundstückseigentümer (Erbbaurechtsausgeber) bleibt Eigentümer des Bodens
- Der Erbbaurechtsnehmer wird Eigentümer des Gebäudes
Diese Trennung hat weitreichende Konsequenzen:
- Zeitliche Begrenzung: Anders als das unbefristete Grundstückseigentum ist das Erbbaurecht immer zeitlich begrenzt. Nach Ablauf der vereinbarten Laufzeit fällt das Gebäude grundsätzlich an den Grundstückseigentümer zurück (Heimfall).
- Entschädigungsanspruch: Bei Zeitablauf hat der Erbbaurechtsnehmer laut § 27 ErbbauRG in der Regel Anspruch auf eine Entschädigung für das Bauwerk, deren Höhe im Erbbaurechtsvertrag festgelegt wird und typischerweise zwischen 50% und 66,67% des Verkehrswerts des Gebäudes beträgt.
- Finanzielle Belastung: Statt eines einmaligen Kaufpreises zahlt der Erbbaurechtsnehmer einen fortlaufenden Erbbauzins, der zudem durch Wertsicherungsklauseln an die wirtschaftliche Entwicklung angepasst werden kann.
- Verfügungsbeschränkungen: Im Erbbaurechtsvertrag sind häufig Zustimmungsvorbehalte des Grundstückseigentümers für bestimmte Maßnahmen verankert, etwa bei Veräußerung, Belastung oder wesentlichen baulichen Veränderungen.
Das Oberlandesgericht Hamm stellte in seinem Urteil vom 15.02.2018 (Az. 5 U 104/17) klar, dass „das Erbbaurecht ein eigenständiges, vom Grundeigentum getrenntes dingliches Recht darstellt, das jedoch der besonderen Abhängigkeit vom zugrundeliegenden Erbbaurechtsvertrag unterliegt“.

Auswirkungen des Erbbaurechts auf den Immobilienwert
Das Erbbaurecht hat signifikante Auswirkungen auf den Verkehrswert einer Immobilie, die sowohl für Erbbaurechtsnehmer als auch für potenzielle Investoren relevant sind. Grundsätzlich liegt der Wert einer im Erbbaurecht errichteten Immobilie unter dem vergleichbarer Objekte im Volleigentum. Diese Wertminderung resultiert aus mehreren Faktoren:
Die Wertdifferenz zum Volleigentum
Nach gängiger Praxis der Immobilienbewertung und basierend auf Erkenntnissen des Sprengnetter Marktforschungsinstituts beträgt der Wertunterschied zwischen einer Erbbaurechtsimmobilie und einer vergleichbaren Immobilie im Volleigentum durchschnittlich zwischen 20% und 40%. Diese Differenz variiert je nach:
- Restlaufzeit des Erbbaurechtsvertrags
- Höhe des Erbbauzinses im Verhältnis zum Marktüblichen
- Qualität der vertraglichen Regelungen zur Entschädigung bei Heimfall
Ein wichtiger Grundsatz der Wertermittlung wurde vom Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 08.06.2012 (Az. V ZR 196/11) bestätigt: „Je kürzer die Restlaufzeit des Erbbaurechts, desto stärker wirkt sich die zeitliche Begrenzung wertmindernd aus“.
Besonderheiten bei der Finanzierung
Die Auswirkungen auf den Wert zeigen sich auch in der Finanzierungsbereitschaft von Banken:
- Kreditinstitute gewähren bei Erbbaurechtsimmobilien meist nur geringere Beleihungshöhen
- Höhere Zinssätze sind üblich, um das zusätzliche Risiko abzudecken
- Bei Restlaufzeiten unter 30 Jahren werden Finanzierungen deutlich schwieriger
Nach Angaben des Immobilienverbands Deutschland (IVD) bewegen sich die Beleihungsabschläge typischerweise im Bereich von 10% bis 25% gegenüber vergleichbaren Objekten im Volleigentum.
Wertbestimmende Faktoren des Erbbaurechts
Der Wert eines Erbbaurechts wird von verschiedenen Parametern beeinflusst, die potenzielle Käufer und Investoren gründlich analysieren sollten:
1. Laufzeit und Restlaufzeit
Die verbleibende Laufzeit des Erbbaurechts ist der wichtigste Wertfaktor. Eine längere Restlaufzeit wirkt sich positiv auf den Wert aus:
- Restlaufzeiten > 50 Jahre: geringer Wertabschlag gegenüber Volleigentum
- Restlaufzeiten 30-50 Jahre: mittlerer Wertabschlag
- Restlaufzeiten < 30 Jahre: starker Wertabschlag, problematisch für Fremdfinanzierung

2. Höhe des Erbbauzinses
Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Höhe des zu zahlenden Erbbauzinses:
- Niedriger Erbbauzins: wertsteigernd für das Erbbaurecht
- Hoher Erbbauzins: wertmindernd, besonders wenn über dem marktüblichen Niveau
Die Angemessenheit des Erbbauzinses kann anhand des aktuellen Bodenwerts und marktüblicher Verzinsungsraten geprüft werden. Nach Daten des Statistischen Bundesamts und des Verbands deutscher Pfandbriefbanken lag der durchschnittliche Erbbauzins im Jahr 2023 zwischen 3% und 4% des Bodenwerts pro Jahr.
3. Anpassungsklauseln im Erbbaurechtsvertrag
Wertsicherungsklauseln und Anpassungsregelungen im Vertrag beeinflussen den Wert erheblich:
- Indexierungen an die Verbraucherpreisentwicklung
- Stufenregelungen mit festgelegten Erhöhungszeitpunkten
- Neuverhandlungsklauseln nach bestimmten Zeitabständen
Das Landgericht München I bestätigte in seinem Urteil vom 24.09.2021 (Az. 1 O 6263/20), dass „marktübliche Wertsicherungsklauseln für sich genommen keine unangemessene Benachteiligung des Erbbaurechtsnehmers darstellen“, sofern sie transparent und nachvollziehbar gestaltet sind.
4. Entschädigungsregelungen
Die vertraglichen Regelungen zur Entschädigung bei Zeitablauf des Erbbaurechts haben erheblichen Einfluss auf den Wert:
- Hohe Entschädigungssätze (z.B. 2/3 des Verkehrswerts) wirken wertsteigernd
- Niedrige oder fehlende Entschädigungsregelungen führen zu deutlichen Wertabschlägen
Nach einer Studie des Deutschen Erbbaurechtsverbands weisen Erbbaurechte mit Entschädigungsregelungen von mindestens 66,67% des Gebäudewerts im Schnitt 15% höhere Marktwerte auf als solche mit niedrigeren Entschädigungssätzen.
5. Nutzungsbeschränkungen und Vorbehalte
Einschränkungen der Nutzung, die über das normale Maß hinausgehen, wirken sich wertmindernd aus:
- Zustimmungsvorbehalte bei baulichen Veränderungen
- Beschränkungen bei der Veräußerung oder Belastung
- Pflichten zur bestimmten Art der Nutzung
Wann ist ein Immobiliensachverständiger unverzichtbar?
Bei Erbbaurechtsimmobilien ist die Expertise eines qualifizierten Immobiliensachverständigen in folgenden Situationen besonders wertvoll:

1. Beim Erwerb oder Verkauf einer Erbbaurechtsimmobilie
Der Marktwert einer Erbbaurechtsimmobilie lässt sich für Laien kaum seriös bestimmen. Ein Sachverständiger kann:
- Den angemessenen Kaufpreis unter Berücksichtigung aller wertbeeinflussenden Faktoren ermitteln
- Risiken im Erbbaurechtsvertrag identifizieren und bewerten
- Die Marktgängigkeit des Objekts einschätzen
2. Bei der Ermittlung des Erbbauzinses
Bei Neuverhandlungen oder Anpassungen des Erbbauzinses ist fachkundige Beratung essenziell:
- Überprüfung der Angemessenheit des geforderten Zinses
- Bewertung von Anpassungsklauseln im historischen und prognostischen Kontext
- Schaffung einer neutralen Verhandlungsbasis zwischen den Parteien
3. Bei Streitigkeiten und rechtlichen Auseinandersetzungen
In Konfliktsituationen zwischen Grundstückseigentümer und Erbbaurechtsnehmer bietet das Gutachten eines Sachverständigen:
- Eine objektive Entscheidungsgrundlage
- Gerichtsfeste Dokumentation der wertrelevanten Faktoren
- Professionelle Interpretation komplexer Vertragsklauseln
Der Bundesgerichtshof betonte in seinem Urteil vom 10.11.2017 (Az. V ZR 184/16) die Bedeutung fachkundiger Bewertungen: „Die Wertermittlung von Erbbaurechten erfordert aufgrund ihrer rechtlichen Komplexität besondere Sachkunde und die Berücksichtigung sämtlicher wertbildender Faktoren“.
4. Bei Finanzierungsfragen
Für die Baufinanzierung einer Erbbaurechtsimmobilie ist ein professionelles Wertgutachten oft unerlässlich:
- Banken fordern häufig ein Verkehrswertgutachten als Grundlage für die Kreditentscheidung
- Die Beleihungsgrenze wird maßgeblich durch die sachverständige Bewertung beeinflusst
- Die Restlaufzeit des Erbbaurechts und deren Verhältnis zur Kreditlaufzeit muss fachkundig bewertet werden
5. Bei strategischen Investitionsentscheidungen
Immobilieninvestoren sollten vor dem Engagement in Erbbaurechte eine professionelle Bewertung einholen:
- Renditeberechnungen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Erbbaurechts
- Langfristige Wertentwicklungsprognosen in Abhängigkeit von Vertragsgestaltung und Marktumfeld
- Exit-Strategien unter Berücksichtigung der zeitlichen Begrenzung des Rechts
Fazit: Chancen und Risiken des Erbbaurechts richtig einschätzen
Das Erbbaurecht bietet sowohl Chancen als auch Risiken, die einer sorgfältigen Abwägung bedürfen. Als Erbbaurechtsnehmer oder Investor sollten Sie stets die Besonderheiten dieses Rechtsinstituts im Blick behalten und sich bei komplexen Fragestellungen von einem spezialisierten Immobiliensachverständigen beraten lassen.
Die richtige Bewertung eines Erbbaurechts kann den Unterschied zwischen einer lohnenden Investition und einer kostspieligen Fehlentscheidung ausmachen. Mit professioneller Unterstützung können Sie die wertbestimmenden Faktoren genau analysieren und eine fundierte Entscheidung treffen.
Wenn Sie Fragen zur Bewertung eines Erbbaurechts haben oder eine professionelle Immobilienbewertung benötigen, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns für eine unverbindliche Beratung und profitieren Sie von unserer langjährigen Expertise im Bereich der Immobilienbewertung.
Quellen
- Erbbaurechtsgesetz (ErbbauRG)
- Verband Deutscher Pfandbriefbanken – Beleihungswertermittlung bei Erbbaurechten
- Immobilienverband Deutschland (IVD) – Marktstudien zum deutschen Immobilienmarkt
- Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) – Erbbaurecht als Instrument der Bodenpolitik
- Deutscher Erbbaurechtsverband e.V.
- Sprengnetter Marktforschung – Bewertung von Erbbaurechten
- BGH-Urteil vom 08.06.2012, Az. V ZR 196/11
- BGH-Urteil vom 10.11.2017, Az. V ZR 184/16
- OLG Hamm, Urteil vom 15.02.2018, Az. 5 U 104/17
- LG München I, Urteil vom 24.09.2021, Az. 1 O 6263/20
- Statistisches Bundesamt – Statistiken zu Grundstücks- und Immobilienwerten
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